Wasserstoff auf den Weg bringen

Nicht nur für das Erreichen der Klimaziele, sondern auch für eine sichere und diversifizierte Energieversorgung ist ein schneller und erfolgreicher Hochlauf von Wasserstoff unverzichtbar. Zur Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren für den Ausbau erneuerbarer Energien hat die EU bereits wichtige Weichen gestellt. Es gilt, Investitionshemmnisse für den Aufbau der Wasserinfrastruktur abzubauen – damit der Wasserstoff im wahrsten Sinne des Wortes auf den Weg gebracht werden kann. Ein großes Projekt, an deren Umsetzung gerade auch die Armaturenbranche beteiligt sein wird.

Ein Beitrag von Michael Vehreschild.

Um das Ziel von mindestens 10 GW Elektrolysekapazität gemäß Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung zu erreichen, müssen zügig massive Investitionen zur grünen Wasserstofferzeugung und -nutzung angereizt werden. Der Transport von Wasserstoff über das bestehende Gas-Pipeline-Netz ist dabei ein entscheidender Faktor zur Implementierung einer Wasserstoff-Infrastruktur.

Klare Rahmenbedingungen ermöglichen

Der Deutsche Wasserstoff- und Brennstoffzellen-Verband (DWV) e.V. appelliert an die Politik, klare Rahmenbedingungen für den Transformationsprozess der bestehenden Erdgasleitungen und den Aufbau einer Wasserstoffinfrastruktur zu gewährleisten. Deutschland und die EU benötigen für die Dekarbonisierung ihrer emissionsintensiven Industrie als auch für die Gewährleistung der Energieversorgung im Jahr 2050 mindestens 660 TWh/a an grünem Wasserstoff.

Nun kommt es darauf an, Planungs-, Bau- und Genehmigungsverfahren zum Hochlauf einer grünen Wasserstoff-Marktwirtschaft zu vereinfachen und aufeinander abgestimmt anzugehen. „Hemmnisse für eine intensive Kapazitätssteigerung von erneuerbaren Energien zur Erzeugung von grünem Wasserstoff sowie für den Aus- und Umbau der notwendigen Infrastruktur müssen schnell abgebaut werden“, betont der Verband. Nur so könnten erneuerbare Energien in Deutschland und Europa in dem erforderlichen Maßstab importiert, verteilt, langfristig gespeichert und erfolgreich in ein klimaneutrales Energiesystem integriert werden.

Hemmnisse für eine intensive Kapazitätssteigerung von erneuerbaren Energien zur Erzeugung von grünem Wasserstoff sowie für den Aus- und Umbau der notwendigen Infrastruktur müssen schnell abgebaut werden. Foto: Pixabay

Beschleunigten Wasserstoff-Hochlauf zügig umsetzen

Damit sich die europäische energieintensive Industrie in einer defossilisierten Weltwirtschaft behaupten kann, muss grüner Wasserstoff als Energieträger in allen Sektoren ausreichend zur Verfügung stehen. „Der Transport von Wasserstoff über Pipelines und seine Speicherung in großvolumigen Untergrundspeichern ist dabei eine kosteneffiziente Option, große Mengen erneuerbarer Energie von den Erzeugungs- zu den Verbrauchsschwerpunkten zu transportieren und bedarfsgerecht zur Verfügung zu stellen“, erläutert der DWV.

Für den schnellen Aufbau der Wasserstoffinfrastruktur sind die Regelungen der Übergangsregulierung für die Wasserstoffnetze im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) laut Verband unzureichend. Es bedürfe praxistauglicher Modelle für die Finanzierung der Umstellung, um die vorhandenen Potenziale der bestehenden Infrastruktur und deren Betreiber bestmöglich zu nutzen. Aus Sicht des DWV ist das von der Deutschen Energie-Agentur (dena) vorgeschlagene Finanzierungsmodell zum Wasserstoffnetzaufbau eine dafür geeignete Lösung.

Schnelle Ertüchtigung der bestehenden Infrastruktur

Das dena-Modell sieht vor, dass der Bund die Netzbetreiber mit dem Aufbau und Betrieb eines Wasserstoffnetzes, bestehend aus umgerüsteten Erdgasleitungen und ganz neuen Wasserstoffleitungsabschnitten, beauftragt. Die Netzentgelte werden dabei auf einer tragfähigen Höhe gehalten. Über ein Amortisationskonto lassen sich die Risiken eines sich verzögernden Wasserstoffhochlaufs in der Aufbauphase der Netzinfrastruktur absichern und notwendige Investitionen anreizen. Der Betrieb des Wasserstoffnetzes erfolgt unter einer allein auf Wasserstoff basierenden Kostenregulierung durch die BNetzA. „Dagegen ist der Aufbau einer künftigen Wasserstoffinfrastruktur in Form einer Wasserstoffnetzgesellschaft, wie sie im Rahmen der Fortschreibung der Nationalen Wasserstoffstrategie (NWS) festgelegt werden soll, aufgrund der verbleibenden Zeit bis 2030 nicht zielführend“, erklärt der DWV. Der Aufbau einer solchen Gesellschaft führe zu Verzögerungen beim Wasserstoffinfrastrukturaufbau und somit würde die Industrie nicht in die Lage versetzt werden ihre Klimaziele zu erreichen. „Die Bundesregierung ist aufgefordert, die regulatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen für die Finanzierung der Wasserstoffinfrastruktur so auszugestalten, dass Investitionssicherheit für Infrastrukturbetreiber und -kunden gestärkt wird. Es gilt jetzt, die Investitionsvoraussetzungen für eine kosteneffiziente, versorgungssichere und nachhaltige Wasserstoffversorgung zu schaffen.“

Zukünftig wird die unterirdische Speicherung regenerativ erzeugten Wasserstoffs eine größere Rolle spielen. So liefert die TEC artec GmbH Regelkugelhähne für die Erdgaskaverne in Etzel. Foto: TEC artec

Erkenntnisse unter realen Bedingungen gewinnen

Und es gilt, Wissen anzusammeln. So führt das Projekt „HyGrid2“ Untersuchungen durch, um den Transport von reinem Wasserstoff in gebrauchter Erdgasinfrastruktur zu ermöglichen. Ein Konsortium aus der Österreichischen Vereinigung für das Gas- und Wasserfach (ÖVGW), Forschungseinrichtungen sowie dem Industriedienstleiter Bilfinger will unter der Leitung der Energienetze Steiermark GmbH bis 2025 mit den bei „HyGrid2“ gewonnenen Erkenntnissen offene Fragestellungen beantworten, die eine zukünftige Umwidmung ermöglichen sollen. Hierzu zählen die Inspektion und Reinigung der Pipelines, die Qualität des transportierten Wasserstoffs, die anwendungsorientierte Aufreinigung von H2 sowie die H2-Verträglichkeit der verwendeten Einzelkomponenten und Materialien.

Im Zuge des Projektes wird der erste österreichische Erdgas-Stahlleitungsabschnitt im Netzgebiet der Energienetze Steiermark für den Wasserstofftransport umgewidmet und gemeinsam mit der österreichischen Bilfinger Tochtergesellschaft Bilfinger Industrial Services GmbH zu einer Demonstrationsanlage ausgebaut. Die ehemalige Erdgasleitung wird mit reinem Wasserstoff unter realen Bedingungen betrieben, um Erkenntnisse für die Praxis zu gewinnen.

Dichtungen werden herausgefordert

Auf die Armaturen- und Dichtungsbranche warten große Herausforderungen beim Transport von Wasserstoff und bei Tanksystemen für Brennstoffzellen-Fahrzeuge höchste Anforderungen an die Sicherheit der verwendeten Dichtungsmaterialien in den Leitungssystemen gestellt. Leckagen werden aufgrund der Explosivität nicht toleriert.

Der Systemdruck bei ersten Serienanwendungen von Wasserstofftanksystemen liegt bei 350 bar. Zukünftige Entwicklungen streben Anwendungen mit 700 bar Nenndruck oder darüber hinaus an. Zusätzlich zu diesen Belastungen durch Druck kommen Temperaturbereiche von minus 40 Grad Celsius bis plus 85 Grad Celsius, die bei Betankungsvorgängen auftreten können. Neben diesen hohen Anforderungen an die nominellen Eigenschaften der Dichtungen ist bei Elastomerwerkstoffen über die Nutzungsdauer mit Alterungseffekten zu rechnen, welche die Dichteigenschaften verändern. Auch diese Effekte werden von wirkenden mechanischen Lasten, Temperaturen und Medien stark beeinflusst und sind in der Auslegung von Leitungssystemen ebenfalls zu berücksichtigen.

„Es existieren bisher nur wenige gesicherte Erkenntnisse zum Einsatz von Elastomeren im Zusammenspiel mit Wasserstoff“, so das Fraunhofer-Institut LBF. Das Ziel des Projektes „HydroTransSeal“ sei es, die Wechselwirkungsmechanismen von Wasserstoff mit Elastomerwerkstoffen zu verstehen sowie geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Werkstoffe für den Kontakt mit Wasserstoff gegenüber Permeation, Adsorption und Quellung robuster zu gestalten, beispielsweise durch die Auswahl geeigneter Füllstoffe und Additive.

Europäische Norm für Wasserstoff gesucht

Eine weitere aktuelle Herausforderung rund um Wasserstoff ist die Festlegung einer europäischen Norm. Sie hinkt derzeit der hohen Dynamik des Marktes hinterher, denn die Normenlage ist relativ unklar. Daher wendet zum Beispiel das Unternehmen AS Schneider internationale Normen – etwa ASME B31.12 für Hydrogen Piping and Pipelines – und Datenbanken an und hat daraus einen internen Standard entwickelt, der gemeinsam mit den Kunden abgestimmt wird. Einige Unternehmen verfügen auch über eigene Standards.

Aber es gibt Bewegung beim Thema Normung. „Es haben sich verschiedene Arbeitsgruppen gebildet, um die neuen Anforderungen zu formalisieren und zu dokumentieren. Die endgültigen und genehmigten Normen können aber noch Monate oder sogar Jahre entfernt sein“, prognostiziert AS-Schneider. Um den neu entstandenen Applikationen gerecht zu werden, gilt es, vorhandene Normen zu überarbeiten und fehlende zu erstellen. Denn eine abschließende allgemeingültige Normierung ermöglicht den Unternehmen eine Planungs- und Investitionssicherheit. Und die wird zukünftig mehr denn je gerade auch im Bereich des Wasserstoffes benötigt.

Michael Vehreschild
Michael betreut die Armaturen Welt als Redakteur. Als ausgebildeter Journalist beschäftigt er sich bereits seit vielen Jahren mit der Industrie und ihren Herausforderungen. Er weiß um die Themen, die die Armaturenbranche beschäftigt, und durchleuchtet sie in seinen Hintergrundberichten und Interviews.

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