Mit dem Aufbau einer Wasserstoff-Infrastruktur sollen Träume wahr werden – für die Umwelt und für die Industrie. Aktuell wird analysiert, welche Infrastrukturen benötigt werden und wie hoch die Kosten sind. Feststeht aber auch, dass Zulieferer wie die Unternehmen der Armaturenbranche mit ihren Komponenten den H2-Hochlauf erst richtig ermöglichen können.
Europa wird einen Mindestbedarf von 700 TWh Wasserstoff in 2050 haben. Stahl- und Chemieindustrie werden dann die großen Treiber einer Wasserstoffwirtschaft sein und eine große Nachfrage nach Importen und Elektrolyseuren erzeugen. Um die auseinanderliegenden Zentren von Produktion, Speicherung und Verbrauch zu verbinden, braucht es ein europaweites Pipelinenetz – zu diesen Erkenntnissen kommt das aktuelle White Paper des Wasserstoff-Leitprojekts TransHyDE-Systemanalyse des BMBF, das von Fraunhofer IEG und DECHEMA e.V. koordiniert wird.
Betrachtet haben die Forschenden die Nachfrage von Industrie, Haushalten und Transportsektor. Nach 2030 erwarten sie erhebliche Kostensenkungen bei grünen Energieträgern, doch würden diese nicht reichen, um Niedertemperatur-, Heiz- und Prozesswärme wirtschaftlich zu erzeugen. Insgesamt haben die Forschenden einen Mindestbedarf von 700 TWh gasförmigen Wasserstoff für Europa und Großbritannien im Jahr 2050 ermittelt. „Wasserstoff ist nur dann förderlich für die Umsetzung der Energiewende, wenn die zeitliche und räumliche Verfügbarkeit den jeweiligen Bedarfen entspricht“, heißt es in dem White Paper der TransHyDE-Systemanalyse. Wasserstoff werde demnach vor allem bei Hochtemperatur- und energieintensiven Prozesswärmeanwendungen benötigt sowie als Rohstoff in der Industrie und der zentralen Strom- und Fernwärmeerzeugung.
Stahl- und Chemieproduktion mit großem Wasserstoffbedarf
Im Industriesektor seien es vor allem die Stahlerzeugung und damit verbundene Hochtemperaturprozesse, die allein mit 200 bis 300 TWh Wasserstoff-Bedarf zu Buche schlügen. Vorteil: Die Stahlindustrie benötige große Mengen klimaneutralen Wasserstoffs, könne aber auch flexibel auf Mischungen von Wasserstoff mit Erdgas umsteigen, was eine kontinuierliche Transformation unterstütze.
Auch die chemische Industrie könne eine wichtige Triebfeder für den Ausbau der europäischen Wasserstoffinfrastruktur darstellen. Denn die Produktion von grünem Ammoniak oder hochwertigen Chemikalien benötige große Mengen an Wasserstoff. Co-Koordinator Mario Ragwitz, Institutsleiter am Fraunhofer IEG: „Allerdings ist es ungewiss, ob die komplette Wertschöpfungskette von Sonnen- und Windstrom über die Wasserstoffproduktion bis zur Produktion verschiedener Chemikalien in Europa realisiert werden kann. Importe von Zwischenprodukten wie grünem Methanol oder Ammoniak könnten die Nachfrage nach Wasserstoff im europäischen Industriesektor reduzieren. Daher wurden diese Sensitivitäten im Rahmen von TransHyDE betrachtet.“
Transportwesen als zweitwichtigster Abnehmer
Zweitwichtigster Abnehmer von Wasserstoff sei das Transportwesen. „Der internationale Flug- und Schiffsverkehr ist auf synthetische Kraftstoffe, die auf Wasserstoff basieren, angewiesen. Dies erzeugt einen Wasserstoffbedarf von insgesamt 450 TWh für grüne Kraftstoffe in 2050“, erläutert Co-Autor Christoph Nolden, Geschäftsbereichsleiter Netze, Energie- & Verfahrenstechnik am Fraunhofer IEG.
Größter Unsicherheitsfaktor im Transportsektor sei der Wettbewerb zwischen der direkten Elektrifizierung und dem Antrieb durch Wasserstoff per Brennstoffzelle in Schwerlast-LKWs. „Verschiedene Szenarien zeigen einen zusätzlichen Bedarf von bis zu 380 TWh in 2050, wenn 40 Prozent der Schwerlast-LKWs mit Brennstoffzellen ausgestattet wären.“
Produktion von Wasserstoff in Europa
Die Produktion von Wasserstoff in Europa hänge – so die Forschenden – davon ab, ob die ambitionierten Ziele zum Ausbau von europäischen Wind- und Solaranlagen erreicht würden.
Die Rolle der Elektrolyse in der Sektorkopplung werde sich, so Co-Koordinator Florian Ausfelder, Fachbereichsleiter Energie und Klima bei der DECHEMA e.V., während des Markthochlaufs erheblich entwickeln: „Zunächst werden Elektrolyseure in Cluster integriert, um die sichere und kontinuierliche Lieferung von Wasserstoff für die industrielle Nutzung zu gewährleisten. Sobald die Wasserstoffinfrastruktur etabliert ist, können Elektrolyseure in das Netz einspeisen und gleichzeitig Flexibilität im Stromnetz bieten: So können Netzbetreiber Elektrolyseure einsetzen, um den Ausbaubedarf des Stromnetzes und damit Kosten zu reduzieren.“ Zu beachten bliebe: Gerade zu Beginn des Markthochlaufs könne grüner Wasserstoff fehlen, um den Bedarf zu befriedigen. Während dieser Phase müssten Alternativen wie blauer Wasserstoff den bestehenden Bedarf decken.
Transport und Speicherung von Wasserstoff und seinen Derivaten
„Die Versorgungssicherheit und die Transformation in eine Wasserstoff-Wirtschaft hängen auch vom Ausbau der entsprechenden Transport- und Speicherinfrastruktur ab“, betont Co-Autor Tobias Fleiter, Leiter des Geschäftsfelds Nachfrageanalysen und -projektionen beim Fraunhofer ISI. „Die Modellierungsergebnisse zeigen, dass ein geeignet dimensioniertes Wasserstoff-Kernnetz die Versorgung der Wasserstoff-Nachfrage bei minimalen Gesamtsystemkosten ermöglicht.“ Das Kernnetz könne die potentiellen Erzeuger von Erneuerbaren Energien, vor allem im europäischen Norden und Süden, mit den unterirdischen Speichern und Industriezentren in Mitteleuropa verbinden.
„Die Umnutzung ehemaliger Erdgaspipelines spielt eine entscheidende Rolle in der Transformation des deutschen und europäischen Energiesystems. Die Forschungsergebnisse bestätigen, dass mit dieser Umnutzung die Versorgungsanforderungen in verschiedenen Szenarien befriedigt werden können. Importe aus Nicht-EU Ländern scheinen dann besonders wettbewerbsfähig zu sein, wenn sie an Pipelines gebunden sind“, erläutert Co-Autorin My Yen Förster, DECHEMA e.V. Pipelinegebundene Einfuhren könnten über die MENA-Region (Mittlerer Osten und Nordafrika) erfolgen. Importe von Wasserstoffderivaten oder Zwischenprodukten, wie Ammoniak oder Eisenschwamm, seien voraussichtlich kostengünstiger als ihre Produktion in Europa.
Hohe Investitionen für den H2-Hochlauf
Für den H2-Hochlauf werden beträchtliche Investitionen notwendig. Basierend auf dem Antragsentwurf zum H₂-Kernnetz der Fernnetzbetreiber (FNBs) von November 2023 ergeben sich für den Aufbau des H₂-Kernnetz bis zum Jahr 2032 Investitionskosten in Höhe von 19,8 Milliarden Euro. Darüber hinaus fallen für die Ertüchtigung der bestehenden Gasverteilnetze für den Betrieb mit Wasserstoff weitere 4 Milliarden Euro bis 2045 an, berichtet der Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches (DVGW).
Die für die Jahre 2027 bis 2036 angemeldeten Wasserstoffbedarfe übersteigen laut Dr. Timo di Nardo, bei EWE Leiter Commercial and Sales Hydrogen im Geschäftsfeld Großspeicher und Wasserstoff, die von EWE geplanten Produktionskapazitäten um ein Vielfaches. Derzeit plant EWE, bis zum Jahr 2027 eine Elektrolysekapazität von rund 400 Megawatt aufzubauen. Voraussichtlich bis zum Jahr 2030 soll diese nach heutigem Stand über 1 Gigawatt betragen.
Armaturenbranche ist bereit für den Wasserstoffboom
Die Armaturenbranche ist jedenfalls bereit für den H2-Hochlauf. Als Hersteller von Sicherheitsventilen, Druckminderern und Überströmventilen hat beispielsweise Goetze Ventile in nahezu allen Bereichen der Wasserstoff-Wertschöpfungskette im Einsatz – von der Entstehung über die Elektrolyse oder andere thermische Verfahren und über die Speicherung bei hohen Drücken oder aber tiefkalt verflüssigt bis hin zum Point of Use beim Anwender.
Wasserstoff erfordert aufmerksame Hersteller. „Generell gilt, dass Armaturen nicht nur mit Blick auf mögliche Wasserstoffversprödungen konstruiert werden müssen, sondern auch geeignete Dichtungsmaterialien mit geringer Permeabilität zu berücksichtigen sind“, erläutert Hartmann Valves. Neben den eingesetzten Materialien sei auch die Bauweise der Armatur entscheidend, um erhöhte Spannungen der metallischen Materialien auszuschließen.
Neben den Armaturen setzt Hartmann Valves im Bereich Wasserstoff auch Wasserstoff-Emissionstests um. Des Weiteren bietet Hartmann Valves mit seiner Materialeignungsprüfung einen Test, der es ermöglicht Bestandsarmaturen für den Einsatzbereich Wasserstoff zu überprüfen und somit für eine Umfunktionierung zu qualifizieren.
Eins zeichnet sich ab, das zeigen die ersten Pilotanlagen in größeren Industrieanlagen: Für diese zunehmenden Dimensionen werden in Zukunft deutlich größere Armaturen benötigt. Und diese Entwicklung hat die Branche auch bereits im Blick. Der Wasserstoffboom darf sich also gerne mit der vollen Rückendeckung der Armaturenbranche entfalten.
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