LNG ist der Energieträger, der seit über einem Jahr die Gespräche vieler Wirtschaftsminister und die Energie-Schlagzeilen der Medien beherrscht. Das verflüssigte Erdgas ist Hoffnungsträger insbesondere jener Länder, die stark vom Gas Russlands abhängig waren. Aber der Aufstieg von LNG hat gerade erst begonnen – Experten gehen davon aus, dass die LNG-Nachfrage von 397 Millionen Tonnen in 2022 auf 650 bis über 700 Millionen bis 2040 klettern könnte. Ein großes Potenzial, das sich auch der Armaturenbranche mit ihren Komponenten bietet.
Ein Beitrag von Michael Vehreschild.
Bereits das vergangene Jahr war ein LNG-Jahr. Europäische Länder, einschließlich Großbritannien, importierten 2022 121 Millionen Tonnen LNG, was eine Steigerung von 60 Prozent gegenüber 2021 bedeutet. Es ermöglichte ihnen, dem Einbruch der russischen Pipeline-Gasimporte nach der Invasion Russlands in die Ukraine standhalten konnten. Das ist ein Ergebnis des Shell LNG Outlook 2023. „Ein Rückgang der chinesischen Importe um 15 Millionen Tonnen in Verbindung mit reduzierten Importen südasiatischer Käufer half den europäischen Ländern, genügend Gas zu sichern und Engpässe zu vermeiden.“ Europas schnell steigender Appetit auf LNG habe die Preise auf Rekordhöhen getrieben und Volatilität auf den Energiemärkten der ganzen Welt erzeugt. Laut dem LNG Outlook 2023 von Shell dürfte der erhöhte Bedarf Europas an verflüssigtem Erdgas den Wettbewerb mit Asien um begrenzte neue Lieferungen in den nächsten zwei Jahren verschärfen und den LNG-Handel längerfristig dominieren.
LNG als Säule der Energiesicherheit
Mit reduziertem russischem Pipelinegas wird LNG zu einer immer wichtigeren Säule der europäischen Energiesicherheit, unterstützt durch die rasche Entwicklung neuer Regasifizierungsterminals in Nordwesteuropa. Im Gegensatz dazu entwickelt sich laut dem LNG Outlook 2023 China von einem schnell wachsenden Importmarkt zu einer flexibleren Rolle mit einer erhöhten Fähigkeit, den globalen LNG-Markt auszugleichen.
„Der Krieg in der Ukraine hatte weitreichende Auswirkungen auf die Energiesicherheit der ganzen Welt und verursachte strukturelle Veränderungen auf dem Markt, die sich wahrscheinlich langfristig auf die globale LNG-Industrie auswirken werden“, erklärt Steve Hill, Executive Vice President for Energy Marketing bei Shell. „Es hat auch die Notwendigkeit eines strategischeren Ansatzes – durch längerfristige Verträge – unterstrichen, um eine zuverlässige Versorgung zu gewährleisten und das Risiko von Preisspitzen zu vermeiden.“
Schnelle Entwicklung neuer Importterminals
Der Rückgang der russischen Pipeline-Gasflüsse führte zu beispiellosen politischen und behördlichen Eingriffen, als die Regierungen in Europa versuchten, die Energiesicherheit zu stärken und ihre Volkswirtschaften vor hohen Kosten zu schützen, einschließlich der Priorisierung von LNG-Importen und der schnellen Entwicklung neuer Importterminals, resümiert der LNG Outlook 2023.
2022 zwang Europas LNG-Nachfrage andere Käufer, ihre Importe zu reduzieren und auf andere Kraftstoffe umzusteigen, was mehr Emissionen verursachte. „Hohe globale LNG-Preise führten zu einem Rückgang der LNG-Importe in Südasien, wobei Pakistan und Bangladesch mehr Heizöl importierten, um Engpässe bei der Stromversorgung zu minimieren, und Indien mehr Kohle verbrauchte.“
Zukünftig eine nachhaltigere Energiesicherheit
Der weltweite Gesamthandel mit LNG erreichte im Jahr 2022 397 Millionen Tonnen. Branchenprognosen gehen laut LNG Outlook davon aus, dass die LNG-Nachfrage bis 2040 650 bis über 700 Millionen Tonnen pro Jahr erreichen wird. Es seien mehr Investitionen in Verflüssigungsprojekte erforderlich, um Ende der 2020er Jahre eine erwartete Lücke zwischen Angebot und Nachfrage zu vermeiden.
Vielfältige neue Technologien zur Reduzierung von Emissionen aus Gas- und LNG-Lieferketten werden laut Shell dazu beitragen, ihre Rolle bei der Energiewende zu festigen. „Und die Industrie konzentriert sich zunehmend auf die Entwicklung und den Einsatz von dekarbonisierten Gasen – einschließlich erneuerbarem Erdgas, synthetischem Erdgas, Wasserstoff und Ammoniak – um in Zukunft eine nachhaltigere Energiesicherheit zu gewährleisten.“
Zahlreiche Terminals in der Planung und im Bau
Derzeit gibt es laut „Zukunft Gas“ in Großbritannien, im Nordwesten Europas sowie an den Küsten im Mittelmeer LNG-Terminals. Deutschlands Nachbarländer Niederlande, Belgien, Frankreich und Polen besitzen ebenfalls Importterminals. „Viele Flüssigerdgas-Terminals befinden sich zudem in Planung oder bereits im Bau“, so „Zukunft Gas“. Mit den aktuell geplanten oder bereits in Betrieb befindli-chen schwimmenden LNG-Terminals, oder auch Floating-Storage-and-Regasification-Units (FSRU), könnten in Deutschland rund 38 Milliarden Kubikmeter LNG pro Jahr angelandet werden.
Gerade auch Deutschland gehört zu den Ländern, die schnell den Ausbau einer LNG-Infrastruktur vorantreiben. Ende 2022 startete der Betrieb in Deutschlands erstem LNG-Terminal in Wilhelms-haven, mittlerweile ist auch ein neues Terminal in Lubmin in Betrieb gegangen. Ihm sollen zeitnah neue Terminals in Stade und Brunsbüttel folgen. Durch den Aufbau einer eigenen LNG-Infrastruktur öffnet sich Deutschland für neue Bezugsquellen, um das Land mit Gas zu versorgen.
Importkapazität von mehr als 30 Mrd. Kubikmeter Gas
Entsprechend positiv reagierte die deutsche Bundesregierung mit Blick auf aktuelle und kommende LNG-Terminals. „Die Gasversorgung ist nicht beeinträchtigt. Wir können dies überall in Deutschland gewährleisten, ganz anders als lange Zeit viele befürchtet haben“, sagte Bundeskanzler Olaf Scholz bei der Eröffnung des Lubminer Terminals. Auch eine Wirtschaftskrise sei in Deutschland ausgeblieben. Bei dem Lubminer Terminal ist das Unternehmen „Deutsche ReGas“ der Betreiber. Pro
Jahr sollen über das Terminal nach Unternehmensangaben vorläufig bis zu 5,2 Milliarden Kubikmeter Erdgas nach Deutschland fließen.
Die Bundesregierung hat sich aktuell fünf staatliche schwimmende Flüssigerdgasterminals gesichert: Die erste Anlage in Wilhelmshaven ist bereits in Betrieb, eine weitere wird dort im vierten Quartal 2023 hinzukommen. Noch im Januar 2023 folgte auch die Anlandung von LNG am Standort Brunsbüttel: Über das FSRU kann künftig Flüssiggas aus LNG-Tankern nach erfolgter Regasifizierung in das deutsche Gasnetz eingeleitet werden; das LNG-Terminal hat ein jährliche Regasifizierungskapazität von 7,5 Milliarden Kubikmeter, die voraussichtlich ab Ende 2023 vollständig ausgeschöpft werden kann. Es ist das zweite staatliche angemietete FSRU und das dritte insgesamt. Es folgen die staatlichen Terminals in Stade und Lubmin, die Ende 2023 zum Einsatz kommen sollen.
Im kommenden Dezember soll voraussichtlich eine Importkapazität von mehr als 30 Milliarden Kubikmeter Gas zur Verfügung stehen. Das allein entspricht mehr als der Hälfte der gesamten Gasmenge, die 2021 durch die Pipelines aus Russland nach Deutschland geflossen ist. Zusätzlich liefern Partnerländer wie Norwegen, die Niederlande, Belgien und Frankreich Gas per Pipeline.
Armaturen für herausfordernde Bedingungen
Für den boomenden LNG-Markt werden Sicherheits-, Regel- und Absperrventile der Armaturenbranche dringend benötigt. Die Bedingungen beim Flüssiggas sind allerdings herausfordernd. Denn das Erdgas wird bei einer Temperatur von ca. -162°C flüssig. Zudem werden hohe Anforderungen an die Sicherheit gestellt – wenn das LNG verdampft, entsteht ein explosives Gas. Zu erfüllen sind daher Richtlinien zum Explosionsschutz.
Absperrarmaturen sind aber nicht nur für die Herstellung und Lagerung des Flüssiggases notwendig. Auch der Transport via Tanker erfordert Ventile für entweichendes Gas, also den Abdampf – auch „Boil off“ genannt. Aus dem Kessel, in dem sich das verflüssigte Erdgas befindet, muss während der Seereise etwas Dampf entweichen, damit Druck und Temperatur konstant bleiben. Das gewährleistet die permanente Selbstkühlung des verflüssigten Gases. Groß dimensionierte Tanker sind auch mit Rückverflüssigungsanlagen unterwegs, die ebenfalls mit Absperrarmaturen ausgestattet sind: Bei ihnen lohnt es sich, den Abdampf aufzufangen, an Bord wieder zu verflüssigen und in die Tanks zurückzupumpen.
LNG-Terminals erleben in Deutschland also einen Aufstieg, den vor zehn Jahren niemand erahnen konnte. Auch die Perspektive der Terminals ist glänzend, weil sie zum Import von Flüssigwasserstoff oder Ammoniak genutzt werden könnten. Ein Horizont, den die Armaturenbranche bei der Konstruktion ihrer Komponenten berücksichtigen wird. Denn dann kann sie weiter Stoff geben…
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