Einiges in der Pipeline

Das Potenzial für Industrie und Umwelt ist gewaltig und der Wasserstoff-Boom hat längst begonnen – milliardenschwere Investitionen wurden bereits vorgenommen oder sind noch geplant. Armaturen und Antriebe nehmen hierbei eine Schlüsselrolle ein, da sie entlang der kompletten Wasserstoff-Prozesskette eingesetzt werden. Eine zentrale Funktion kommt auch dem Transport von Wasserstoff zu – und hier gibt es noch reichlich Handlungsbedarf. Die Armaturenbranche wird den Wasserstoffhochlauf jedenfalls tatkräftig mit ihren Qualitätskomponenten unterstützen.

Und es ist tatsächlich einiges in der Pipeline. Was unter anderem auch darauf zurückzuführen ist, dass die Bundesnetzagentur das von den Fernleitungsnetzbetreibern vorgeschlagene Wasserstoff-Kernnetz genehmigt hat. Insgesamt enthält das Netz 9.040 Kilometer an Leitungen, welche sukzessiv bis 2032 in Betrieb gehen sollen. Davon werden rund 60 Prozent von Gas auf Wasserstoff umgestellt und 40 Prozent neu gebaut. Die erwarteten Investitionskosten betragen 18,9 Milliarden Euro. „Mit dem genehmigten Wasserstoff-Kernnetz können die Netzbetreiber nun schrittweise die Infrastruktur für Wasserstoff aufbauen und betreiben“, erklärt Klaus Müller, Präsident der Bundesnetzagentur. Erste Leitungen werden ab diesem Jahr umgestellt.

Wasserstoff-Kernnetz als wichtiger Schritt

Das Wasserstoff-Kernnetz ist laut der Bundesnetzagentur der erste Schritt für den Aufbau eines deutschlandweiten Wasserstoffnetzes. Das Wasserstoff-Kernnetz verbindet deutschlandweit die künftigen Wasserstoffcluster miteinander. In diesen bündeln sich regionale und lokale Wasserstoffprojekte, wie zum Beispiel in Industrie- oder Gewerbeparks. Das Wasserstoff-Kernnetz soll auch die Verbindung mit den Nachbarstaaten berücksichtigen.
Hintergrund beim Wasserstoff-Kernnetz: „Für den Aufbau und die Inbetriebnahme des Netzes war mehr Verbindlichkeit auf der Produzenten- und Nachfrageseite sowie der Bau von Leitungen notwendig“, erläutert die Bundesnetzagentur. Aus diesem Grund habe die Bundesregierung die Errichtung eines Wasserstoff-Kernnetzes beschlossen. „Ziel sollte sein, deutschlandweit die wesentlichen Wasserstoffproduktions-, Import- und Verbrauchspunkte zu verbinden.“

Die VNG AG, mit Hauptsitz in Leipzig, erforscht, wie klimaneutraler Wasserstoff künftig im industriellen Maßstab produziert, transportiert, gespeichert und vermarktet werden kann. Ein Schlüssel für das Gelingen der Energiewende werde auch Wasserstoff sein, denn mit ihm lassen sich in allen Sektoren signifikante CO₂-Einsparungen erzielen. VNG ist ein Unternehmensverbund für Gas und Gasinfrastruktur mit über 20 Gesellschaften in Deutschland und Europa. Das Bild zeigt eine Erdgasfernleitung. Quelle: VNG AG

Auch europaweit sind Pipelines für Wasserstoff – natürlich – notwendig. So soll bis 2030 mit einer Investition von rund 2,5 Milliarden Euro eine Leitung von Barcelona nach Marseille entstehen. Durch die „H2Med“ könnten bis zu zehn Prozent der für die EU erwarteten Nachfragemenge an grünem Wasserstoff strömen. „Die maximale Kapazität der Mittelmeerpipeline wird bei zwei Millionen Tonnen Wasserstoff pro Jahr liegen“, berichtet Germany Trade and Invest (GTAI). Die Röhre soll nun bis nach Deutschland verlängert werden.

Investitionen in Pipelines

Ein Projektvorhaben des norwegischen Energiekonzerns Equinor sowie RWE sieht hohe Investitionen in die Produktion, den Transport und die Verbrennung von sauberem Wasserstoff vor. Geplant ist, blauen und grünen Wasserstoff von Equinor in Norwegen zu beziehen und über eine Wasserstoffpipeline nach Deutschland zu leiten. Hier möchte RWE den Brennstoff in wasserstofffähigen Gaskraftwerken verfeuern und zur Stromproduktion nutzen. Bis ins Jahr 2038 sollen bis zu 10 Gigawatt blauer Wasserstoff in Norwegen produziert und per Pipeline nach Deutschland transportiert werden.

„Durch diese Zusammenarbeit stärken wir die langfristige Energiesicherheit des führenden Industrielandes Europas und bieten gleichzeitig einen gangbaren Weg für eine notwendige Energiewende für Industrien, deren CO₂-Emissionen nur schwer gesenkt werden können“, sagt Anders Opedal, CEO und Präsident von Equinor. Die Zusammenarbeit habe das Potenzial, Norwegen zu einem wichtigen Wasserstofflieferanten für Deutschland und Europa zu machen. „Dies ist eine einmalige Gelegenheit, in Norwegen eine Wasserstoffindustrie aufzubauen, in der Wasserstoff auch als Rohstoff für die heimische Industrie genutzt werden kann.“

Sowohl die Wasserstoff-Pipeline als auch die wasserstofffähigen Gaskraftwerke sind technologische und infrastrukturelle Großprojekte, die zur europäischen Energieversorgung und zum Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft in Deutschland und der EU beitragen sollen. Ebenso soll die Partnerschaft die europäische Versorgungssicherheit in einem langfristig dekarbonisierten Stromsektor stärken.

Darüber hinaus werden RWE und Equinor bei Projekten zur Erzeugung von grünem Wasserstoff zusammenarbeiten. Beide Unternehmen wollen Möglichkeiten in Norwegen, Deutschland und in Ländern, die an die geplante Wasserstoffpipeline angrenzen, ausloten, um dort mithilfe von Windkraft auf See grünen Wasserstoff zu produzieren. Offshore-Windkraft ist die mit Abstand effektivste Form der erneuerbaren Stromerzeugung. In Kombination mit Elektrolyseuren wird die Windkraft auf See eine wichtige Rolle beim Hochlauf der Wasserstoffwirtschaft einnehmen.

Im Bereich der Salzkavernenspeicher lieferte Hartmann Valves bereits Hydrogen-Bohrlochköpfe mit integrierten Kugelhähnen. Foto: Hartmann Valves

Mitten im technologischen Wandel

Manches ist noch zu präzisieren – daher wird das Regelwerk des Deutschen Vereins des Gas- und Wasserfaches (DVGW) überarbeitet und an die zukünftige Nutzung von Wasserstoff angepasst. Ziel des Projektes ist es, die Einsatzmöglichkeiten und Grenzen von Absperrarmaturen hinsichtlich ihrer H2-Dichtheit zu untersuchen. Außerdem ist die Normenlage in Europa relativ unklar. Manche Unternehmen wenden internationale Normen – wie ASME B31.12 für Hydrogen Piping and Pipelines – und Datenbanken an und entwickeln hieraus einen internen Standard. Die Dynamik des Wasserstoffmarktes wird aber auch der Normierung einen kräftigen Schub verleihen.

Die Wasserstoffbranche, für die unter anderem Herstellung, Transport und Speicherung von H2 wichtig ist, befindet sich auch in einem technologischen Wandel. Digitalisierung und Automatisierung prägen zunehmend die Wasserstoffbranche. „Das bedeutet für uns, dass es bei den Steuerungslösungen für Armaturen stetig neue Entwicklungen gibt“, erläutert Hartmann Valves. Hier arbeite man mit Antriebslieferanten zusammen, „um auf den Anwendungsfall abgestimmte Steuerungen anbieten zu können“.

Ein Anbieter von Antrieben ist beispielsweise AUMA. „Unsere explosionsgeschützten Stellantriebe sind wasserstofftauglich“, betont das Unternehmen. Zum Einsatz kommen AUMA-Antriebe etwa in der Power-to-Gas-Anlage von Windgas Haßfurt, wo überschüssige Windenergie in H2 umgewandelt wird. Sie werden bei der Wasserstoffeinspeisung in das Gasnetz eingesetzt.

Attraktiver Markt für die Armaturenbranche

Klar ist: Der Wasserstoffmarkt ist ohne Zweifel attraktiv – allerdings mit hohen Erwartungen an Konstruktion, Qualität und Materialbeständigkeit verbunden. Zum Beispiel aufgrund der hohen Explosionsfähigkeit. Daher werden höchste Standards bei der Armaturenauswahl gefordert – eine innere und äußere Dichtheit ist also von größter Wichtigkeit. Und: „Um die gleiche Energiemenge zu speichern, ist in der Regel ein höherer Druck erforderlich“, erläutert müller quadax. Ferner sei das Spektrum der Betriebstemperatur deutlich größer: Wasserstoff verflüssigt sich bei atmosphärischem Druck erst bei einer Temperatur von minus 253 °C. Zu beachten sei bei der Armaturenkonstruktion und Materialwahl außerdem die Wasserstoffversprödung.

Es entsteht also ein gewaltiger Markt entlang der Wertschöpfungskette beim Wasserstoff. Und er bietet den Armaturen- und Antriebsanbietern erhebliche Absatzmärkte. Sie gilt es, mit Qualitätskomponenten zu bedienen. Eine Notwendigkeit, der die Armaturenbranche gerne nachkommt.

Auch Bilfinger hat die Wasserstoffbranche im Blick: Das Unternehmen konnte ein Wasserstoffprojekt für die Prozessindustrie zur Förderung alternativer Energiequellen erfolgreich abschließen und hat für das tschechische Chemieunternehmen Spolchemie die Produktions- und Transportmöglichkeiten für das Nebenprodukt Wasserstoff bewertet. Darüber hinaus hat Bilfinger Tebodin Czech Republic s.r.o. in einer Machbarkeitsstudie die technischen Anforderungen und die Wirtschaftlichkeit der Produktion von grünem Wasserstoff durch Photovoltaik sowie den Transport von Wasserstoff zu öffentlichen Mobilitätslösungen wie beispielsweise Tankstellen für Autos oder Züge evaluiert. Foto: Spolchemie
Michael Vehreschild
Michael betreut die Armaturen Welt als Redakteur. Als ausgebildeter Journalist beschäftigt er sich bereits seit vielen Jahren mit der Industrie und ihren Herausforderungen. Er weiß um die Themen, die die Armaturenbranche beschäftigt, und durchleuchtet sie in seinen Hintergrundberichten und Interviews.

Über den Artikel der Woche

Jede Woche beleuchten wir im Artikel der Woche ein spannendes Thema für die Armaturenbranche. Weitere Artikel finden Sie auch in unserer Zeitschrift Armaturen Welt. Um diese und viele weitere Artikel (fast) monatlich zu lesen, abonnieren Sie unsere Zeitschrift (erhältlich in Print und digital).

Möchten Sie als Autor mitwirken? Bitte kontaktieren Sie Michael Vehreschild.

Jede Woche teilen wir einen neuen Artikel mit unserer Armaturen Community. Machen Sie mit und lassen Sie uns Ihren Artikel auf Armaturen Welt online und in gedruckter Form veröffentlichen.

Vorheriger ArtikelEmerson aktualisiert Edge-Technologie
Nächster ArtikelSchnellere Prototypenfertigung von Berstscheiben