Ammoniak als Hoffnungsträger der Energiewende

Ammoniak kennt man bisher hauptsächlich aus der Düngemittel-Produktion – künftig könnte das Gas als effizienter Wasserstoffträger und klimafreundlicher Ersatz für fossile Brennstoffe laut Fraunhofer auch eine Schlüsselrolle in der Energiewende einnehmen, denn es lässt sich CO₂-frei aus Stickstoff und Wasserstoff herstellen und bietet viele Vorteile für Transport und Lagerung. An einer platzsparenden, effizienten und vor allem dezentralen Ammoniak-Cracking-Technologie arbeitet das Fraunhofer-Institut für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM gleich in mehreren Forschungsprojekten. Die Armaturenbranche dürfte die Entwicklung einer solchen Technologie aufmerksam verfolgen: Denn im Rahmen von Crackingprozessen kommen auch verschiedene Armaturen zum Einsatz.

„Ammoniak ist ein großer Potenzialträger für einen nachhaltigen Umbau unseres Energiesystems“, erklärt Dr. Gunther Kolb, Bereichsleiter Energie und stellvertretender Institutsleiter des Fraunhofer IMM in Mainz. „Die Herausforderung der Energiewende besteht ja nicht nur in der ausreichenden emissionsfreien Energieproduktion. Da Grünstrom in großen Mengen besonders an sehr wind- oder sonnenreichen Standorten wie etwa Chile oder Australien erzeugt werden kann, spielt auch der verlustarme Transport an energieärmere Einsatzorte eine relevante Rolle.“ Hier könne der Einsatz von Ammoniak „umwälzende Vorteile“ bringen.

Perfekt geeignet für H2-Lagerung und H2-Transport

„Grüner Wasserstoff H2 – als Speichermöglichkeit für grünen Strom – kann in Verbindung mit Stickstoff N2 im Verhältnis 3:1 in Ammoniak NH3 umgewandelt und in dieser Form deutlich verlustärmer gelagert und transportiert werden“, erläutert Fraunhofer. Für diese Zwecke hat Ammoniak dem Wasserstoff einiges voraus: Das Gas bleibe bei atmosphärischem Druck und schon bei einem Druck von nur 7,5 bar oder einer Abkühlung auf nur etwa -33 Grad Celsius flüssig. Reiner Wasserstoff dagegen muss für eine Verflüssigung unter geringem Druck in ein Vakuum geleitet und auf -253 Grad Celsius heruntergekühlt werden, „was einen hohen Energieaufwand erfordert“.

Zusätzlich hat Ammoniak eine höhere volumetrische Energiedichte als flüssiger Wasserstoff, kann also mehr Energie pro Volumeneinheit transportieren. „Für die Erzeugung des Ammoniaks aus Wasserstoff und Stickstoff benötigt man nur noch etwa fünf Prozent mehr Energie als zur Erzeugung von Wasserstoff aus Grünstrom“, erläutert Kolb. „Und sowohl die Herstellung als auch die Spaltung von Ammoniak sind völlig CO2-frei.“ Zwar ist Ammoniak giftig und brennbar und daher als Gefahrengut mit entsprechenden Sicherheitsvorkehrungen einzuordnen. „Doch schon jetzt werden vor allem für die Düngemittelproduktion jährlich ca. 25 Millionen Tonnen weltweit sicher per Schiff und Schiene transportiert.“

Ammoniak als Hoffnungsträger der Energiewende
Wasserstoff und Ammoniak werden eine zentrale Bedeutung für die Energiewende einnehmen. Daher werden H2-fähige Pipelines verlegt. Wie hier zum Beispiel durch den Fernleistungsnetzbetreiber, die GASCADE Gastransport GmbH. In diesem Fall entstand sogar Rohr-Kunst: Ein sieben Meter langes Rohr wurde von der Künstlerin Birgit Wohlauf in ein Kunstwerk verwandelt – mit Airbrush und Pinselmalerei. Das Ergebnis ist ein „H2 inside“-Graffiti. Foto: GASCADE

Wasserstoff-Kernnetz noch im Aufbau

Um in der chemischen Industrie oder als Energieträger Verwendung zu finden, muss das Ammoniak am Zielort wieder in seine Bestandteile Stickstoff und Wasserstoff „gecrackt“, also gespalten, werden – und das mit möglichst wenig Energieverlust. Für die Spaltung wird das Gas in einem Reaktor bei etwa 600 Grad Celsius auf einen anorganischen nickelbasierten Katalysator mit hoher innerer Oberfläche geleitet. „Aktuell werden an grünstromreichen Standorten wie Australien oder Chile die ersten großen Elektrolyse-Anlagen errichtet, um Ammoniak zu erzeugen.

Auf europäischer Seite entsteht zum Beispiel in Rotterdam zeitgleich eine der ersten großen Cracker-Anlagen“, so der Chemieingenieur. Der zurückgewonnene Wasserstoff soll in Pipelines an die Anwendungsorte verteilt werden. Das Problem: Tatsächlich haben interessierte Abnehmer gerade im Segment kleinerer Unternehmen oft keinen Zugriff auf Wasserstoff-Pipelines. Die deutsche Wasserstoffinfrastruktur ist aber aktuell im Aufbau. Bis 2032 soll ein Wasserstoff-Kernnetz mit einer Leitungslänge von insgesamt rund 9.000 Kilometern entstehen – vor allem durch die Umstellung von Erdgasleitungen. Auch danach blieben jedoch große Gebiete nicht an eine Wasserstoff-Versorgung angebunden.

Lokale Versorgung durch dezentrale Cracking-Technologie

Ammoniak als Hoffnungsträger der Energiewende
Pilotanlage des Fraunhofer IMM für das Ammoniakcracken mit einer Kapazität von 20 kg/h Ammoniak. © Fraunhofer IMM

„Diese Versorgungslücke kann unsere dezentrale Cracking-Technologie für Bedarfsmengen zwischen 100 Kilogramm und 10 Tonnen Wasserstoff pro Tag effizient und emissionslos schließen“, erklärt Kolb. „Im von Rheinland-Pfalz geförderten Projekt AMMONPAKTOR haben wir zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Techno- und Wirtschaftsmathematik ITWM bereits einen kompakten Ammoniak-Cracker entwickelt, der durch unsere innovative Plattenwärmeübertrager-Technologie und eine integrierte Abgasverbrennung der zur Reinigung eingesetzten Druckwechseladsorption beim Rückverwandlungsprozess einen Wirkungsgrad von 90 Prozent erreicht – im Vergleich zu 70 Prozent bei herkömmlichen Technologien.“

Kein zusätzlicher Treibstoff oder Elektrizität

Die benötigte Energie zum Beheizen des Reaktors wird direkt im Spaltreaktor mit Hilfe der Abgasströme erzeugt, für das Cracken wird also kein zusätzlicher Treibstoff oder Elektrizität benötigt. Zudem sei der AMMONPAKTOR-Reaktor um etwa 90 Prozent kleiner als konventionelle Reaktoren. Das ist vor allem entscheidend für mobile und platzbeschränkte Anwendungen. Durch die Abgas-Nutzung habe die Technologie auch einen geringeren Kohlendioxid-Fußabdruck als elektrisch beheizte Reaktorkonzepte. „Neben der systeminternen Abgasnutzung bildet der direkt mit einem Katalysator beschichtete innovative Plattenwärmeübertrager des Fraunhofer IMM den entscheidenden Unterschied“, erläutert der Wissenschaftler. „Statt wie üblich in einem energiereich von außen mit etwa 900 Grad Celsius zu beheizenden Rohrsystem wird die für die Spaltung benötigte Wärme bei unserer Technologie direkt dort erzeugt, wo sie gebraucht wird. Unsere Anlage hat dadurch einen deutlich besseren Wärmeübergang. Das bedeutet eine enorme Energieersparnis.“

Fünfjähriges maritimes EU-Projekt GAMMA

Ein fertiger Prototyp am Fraunhofer IMM-Standort in Mainz ermöglicht bereits eine Wasserstoff-Produktion von etwa 75 Kilo Wasserstoff pro Tag, das entspricht in etwa der Tagesleistung einer 50 kW-Brennstoffzelle.

„Mit dieser Menge könnte man zum Beispiel schon eine kleine Wasserstoff-Tankstelle versorgen“, so Kolb. Das nächste Entwicklungsziel ist nun die Skalierung auf eine Tagesproduktion von bis zu 10 Tonnen, unter anderem im Rahmen des fünfjährigen maritimen EU-Projekts GAMMA sowie des Fraunhofer-Leitprojekts AmmonVektor, das die gesamte Wertschöpfungskette von grünem Ammoniak mit dem Ziel behandelt, Wasserstoff dezentral und möglichst günstig verfügbar zu machen. Das dreijährige Projekt unter der Leitung des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik UMSICHT läuft seit Anfang 2024.

Ammoniak als Hoffnungsträger der Energiewende
Auf diesem Frachter wird im Rahmen des EU-Projekts GAMMA ein Ammoniakcracker des Fraunhofer IMM mit einem elektrischen Leistungsäquivalent von 400 kW als Stromerzeuger zusammen mit einer Brennstoffzelle installiert. © ANT Topic

Spannende aktuelle Entwicklungen, die die Energiewende unterstützen würden – und auch den Armaturenanbietern verheißungsvolle Aussichten bieten könnten.

Michael Vehreschild
Michael betreut die Armaturen Welt als Redakteur. Als ausgebildeter Journalist beschäftigt er sich bereits seit vielen Jahren mit der Industrie und ihren Herausforderungen. Er weiß um die Themen, die die Armaturenbranche beschäftigt, und durchleuchtet sie in seinen Hintergrundberichten und Interviews.

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Sonja Wingels
Sonja ist Redakteurin bei der Edelstahl Aktuell. Nach ihrem Studium der Psychologie an der HHU in Düsseldorf und selbstständiger Arbeit als Content Creator nutzt sie nun diese Erfahrungen, um zum Erfolg der Zeitung beizutragen und ihr Fachwissen in der Edelstahlbranche zu vertiefen.